Als ich Kissinger traf

Ich arbeite an einem Ort, an dem es ganz normal ist, wenn sich die Fahrstuhltür öffnet und heraus grüßt der Außenminister. In der Kantine stehe ich manchmal in der Schlange hinter einem vollbärtigen Präsidenten. Dieser Tage lächelte mir gerade ein potenzieller sozialdemokratischer Kanzlerkandidat zu. Der amtierenden Chefin unseres Landes begegnet man allerdings selten. Gestern sah ich ihr kurz Backstage bei einer Rede vor dem Hohen Hause zu. Politpromis im Vorübergehen zu treffen gehört also bei mir zum Alltag wie die verspätetet S-Bahn. Dennoch gibt es immer mal wieder Situationen, die herausstechen und mich beseelen. Und das war vor kurzem der Fall… (mehr …)

virtuelle gedanken zum advent

kürzlich beobachtete ich mein achtzehn monate junges patenkind wie es mit mamas iphone spielte. es wischte fröhlich über den bildschirm, hielt das handy ans ohr, rief „allo, allo“, wischte wieder über den monitor, lachte und tippte fröhlich drauflos. auf mamas frage, an wen es schreibe, grinste mein patenkind und krähte: „imeeehl“. (mehr …)

woman in red

eine glänzende rüschenjacke aus kunstseide in einem leuchtenden kirschrot. in gleicher farbe eine rose am revers. ton in ton auch die knöchellangen leggings und die mandarina-duck-tasche auf den knien. alles andere ist in strahlendem weiß gehalten: bluse, armbanduhr, schuhe (knöchelsandalen nietenbesetzt). strass glitzert von ohrclips, fingerringen und an der uhr. wie kirschen leuchten auch die lippen. die haare sind schwarz gefärbt. grau schimmert an den ansätzen durch. die brauen sind in einem kühnen schwung gezupft und schwarz nachgetuscht. die augen sind grau und blicken etwas traurig. (mehr …)

feels like a russian

feels like a russian

was ist ein tschaika? dieser frage sah ich mich neulich gegenüber inmitten eines ehemaligen russischen truppenübungsplatzes. was ich da machte? hatte was mit einem film zu tun und mit panzern und mit polen und mit solidarnosc (ich empfehle am 29.09. um 20.15 arte einzuschalten).

panzer, flugabwehrkörper und co interessieren mich ja an sich eher wenig. ist in meinen augen alles in einem hässlichen grün gestrichen, sieht unbequem aus und macht zu viel lärm. (mehr …)

mediziner des grauens

neben mir in der sbahn sitzt ein typ, lange haare, schwarzer mantel, so einen dämlichen opahut auf, anfang mitte 20. er sieht sich die ergebnisse seinen multiplechoice medizinertest an – zweites semester. ich könnte hier jetzt sogar seinen namen preisgeben – war alles zu lesen – und hätte nicht übel lust dazu. denn der typ verhält sich absolut asozial – macht niemandem platz, rückt keinen millimeter zur seite als ich mich an ihm vorbei auf den fensterplatz quetsche. über seine blöden langen beine muss ich rübersteigen. und so was wird also in ein paar jahren auf patienten losgelassen. examen per ankreuztest und soziale kompetenz mangelhaft. ich graue mich jetzt schon davor, so einem in die hände zu fallen. wo bleibt der soziale eignungstest für menschen, die über menschenleben entscheiden?

sangria mit eisbein

morgens in der sbahn ist ja eigentlich nur eine sorte leute unterwegs: die, die zur arbeit oder in die uni eilen. die mit eher viel freizeit fahren später (außer rentner, die sind ja immer früh auf den beinen). die spezies zur-arbeit-eilender zeichnet eines aus: sie spricht nicht. sie starrt aus dem fenster oder liest zeitung. umso mehr fällt es also auf, wenn morgens in der bahn plötzlich jemand spricht. noch dazu, wenn er laut spricht. und umso mehr, wenn er mit sich selbst spricht. obwohl – mit sich selbst sprach der mann mit dem sangria-tertapack in der brusttasche seiner jacke eigentlich gar nicht. nach einem kräftigen frühstücksschluck aus der packung erzählte er allen in hörweite, dass er heute geburtstag habe. hier machte er eine pause – ich vermute um etwaigen spontanen gratulanten die möglichkeit zu sprechen zu geben. keiner sagte was. er werde 47, erzählte der mann weiter. das sei doch kein alter, oder? niemand stimmte zu. jetzt sei er auf dem weg zu oma. da gebe es heute eisbein. extra für ihn. noch ein schluck sangria. dann sagte er noch wie toll seine oma sei und wie toll, dass sie ihm eisbein koche. als er das sagte wurde seine raue trinkerstimme richtiggehend weich. ich fand es irgendwie rührend, dass der mann sich auf seine oma freut und seinen geburtstag mit ihr bei eisbein und sangria verbringt. und ich fand es traurig, dass ihm niemand in der sbahn gratuliert hat. ich hab mich mal wieder nicht getraut, was zu sagen. deswegen von hier aus: happy birthday, eisbeinmann!